Dipl. Ehe-, Familien und Lebensberaterin
In Österreich trinken 200.000 Erwachsene regelmäßig exzessiv Alkohol. Dies ergab eine aktuelle Studie des Marktforschungsinstituts GfK Austria, die anlässlich „des 5. interdisziplinären Symposiums zur Suchterkrankung“ am 6. und 7. März 2015 präsentiert wurde. Viele dieser 200.000 Frauen und Männer leben in Beziehungen.
Dieser Blog-Beitrag veranschaulicht die speziellen Beziehungsprobleme von Angehörigen der alkoholkranken Frauen und Männer. Ihr Leben ist von der Sucht des Partners stark beeinträchtigt. Sie fühlen sich hilflos.
Die Geschichte von Martha und Thomas soll das komplexe Thema einer solchen Beziehung veranschaulichen (die Namen sind frei erfunden).
Martha lernte Thomas vor 15 Jahren in der Firma kennen, bei einer Weihnachtsfeier. Er erzählte Witze, war lustig und trinkfreudig. Martha war von seinem Charme begeistert. Sie trafen sich danach regelmässig und nach einem Jahr heirateten die beiden.
Mit der Zeit fiel Martha auf, dass Thomas auch unter der Woche ein oder zwei Viertel zuviel trank. Das gefiel ihr nicht. Sie konnte den Geruch von Alkohol und seine Stimmungsschwankungen nicht mehr ertragen. Seine Persönlichkeit veränderte sich. Martha nahm sich vor, Thomas zu helfen. Sie ging mit ihm Laufen und Radfahren, nur um ihn vom Trinken abzuhalten.
Das klappte nicht immer, denn Thomas sah nicht ein, warum er auf seine Männerabende und sein Vergnügen, den Alkohol, verzichten sollte. Jedes Mal, wenn er betrunken heimkam und dann seinen Rausch ausschlief, weinte sie sich sich in den Schlaf.
Sie machte ihm immer mehr Vorwürfe, drohte mit Scheidung. Thomas wurde laut: „Hör auf mich zu kontrollieren. Das Leben mit dir ist nur auszuhalten, wenn ich betrunken bin.“ Martha nahm seine Anschuldigung still hin. Trotzdem rief sie im Büro an und meldete ihren durch den Alkohol arbeitsunfähigen Mann krank. Damit er seinen Arbeitsplatz behalten konnte, nahm sie ihn in Schutz.
Martha kam nervös und unausgeschlafen ins Büro. Sie konnte sich nicht auf ihre Arbeit konzentrieren. Ihr wurde zum ersten Mal bewusst, wie erschöpft sie war. Ihr Arbeitskollege fragte was passiert sei. Martha hatte zu ihrem Kollegen Vertrauen und sie begann zu erzählen. Sie will ihrem Mann helfen vom Alkohol wegzukommen. Das kostet sie viel Kraft. „Er hat jetzt eine schwierige Zeit. Er sagt, der Alkohol entspannt ihn und das wird schon wieder.“
Der Kollege konnte Martha sehr gut verstehen. Er war vor Jahren in der selben Situation mit seiner Partnerin und er schilderte, was ihm geholfen hat.
Erst durch das Gespräch begann Martha das Ausmaß ihrer Lage zu verstehen. So wie bisher wollte sie nicht mehr weitermachen. Sie begann sich zu informieren, welche Möglichkeiten Angehörigen von Alkoholkranken zur Verfügung stehen. Schließlich holte sie sich für diese Beziehungskrise Unterstützung und kam in meine Praxis.
Im Beratungsprozess wurde der Klientin bewusst, dass sich ihre Gedanken nur mehr um die Sucht ihres Mannes drehten. Sie wollte ihm helfen vom Alkohol wegzukommen und richtete ihre Aufmerksamkeit immer mehr nach seinem Zustand, ist er betrunken oder nicht, aus. Die Klientin ertrug die Schuldzuweisungen und Kränkungen ihres Partners, weil sie glaubte, so ihre Beziehung retten zu können.
Bereits die ersten Beratungseinheiten verschafften der Klientin Erleichterung. Es tat ihr gut, dass sie offen über ihre Sorgen reden konnte und jemand da war, der ihr zuhörte. Durch die Gespräche wurde ihr auch bewusst, dass sie mit ihrem Problem nicht alleine war. Aus Angst vor Scham, oder anderen Konsequenzen sprechen viele Angehörige der alkoholkranken Partner nicht über ihre Beziehungskrisen.
Im Beratungsprozess erlebte die Klientin Momente, in denen sie das Gefühl hatte, nicht weiterzukommen. Die alten Verhaltensmuster waren so vertraut und die neuen Verhaltensweisen fühlten sich noch fremd an. Teil der fachlichen Unterstützung ist, die Klienten immer wieder an all die positiven Einzelheiten ihrer Entwicklung zu erinnern.
Eines Tages berichtete die Klientin freudestrahlend, dass sie einen Spruch gefunden hat, der für sie richtungsweisend ist.
„Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ (Reinhold Niebuhr)
Dieser Spruch war für die Klientin ein weiterer Schritt zur Lösung aus der eigenen Verstrickung.
Die Angehörigen der alkoholkranken Frauen und Männer sind mit speziellen Beziehungskrisen konfrontiert. Ihr Leben ist von der Sucht des Partners stark beeinträchtigt. Die oben beschriebene Geschichte gibt Einblick in diese Beziehungsdynamik.
Das Fallbeispiel zeigt, dass es durch professionelle Beratung möglich ist, sich auch innerhalb kurzer Zeit aus dieser Verstrickung zu befreien.
Mein Buchtipp:
Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit: Wie erwachsene Kinder von Suchtkranken Nähe zulassen können
© 2023 Renate Lammy